„Menschen sollten Ziele haben.“ Ist das wahr?

„Menschen sollten Ziele haben.“ Ist das wahr?

Heute Vormittag bin ich wieder einmal meinem eigenen Schatten begegnet. Ich weiss, intellektuell gesehen, dass mir Produktivität und zielorientiertes Handeln sehr wichtig ist. Doch manchmal bin ich neidisch, wenn Leute einfach so den Moment geniessen, während ich meine Ziele verfolge.

Also sass ich heute mit einem Blatt Papier hin und überlegte, welcher Gedanke mich am meisten störte. Er kam mir schnell in den Sinn:

„Menschen sollten Ziele haben.“

Erst ein harmlos scheinender Gedanke… Doch beim genaueren Erforschen erkannte ich wie sehr diese Forderung an andere mein eigenes Leiden verursachte. Ich sah mich in unterschiedlichsten Situationen, in denen mir Menschen sagen, sie wüssten nicht, was sie tun sollen.

Mit dem Gedanken, dass diese Personen Ziele haben sollten, beginne ich mich zu langweilen. Ich bin enttäuscht über den Verlauf des Gesprächs. Ich fühle, als ob sich das Gespräch nicht lohnt. Ich werde unruhig, nervös und möchte am liebsten woanders sein. Zudem werde ich unsicher, weil ich selbst nicht weiss, was ich erzählen könnte, denn nichts lohnt sich. Ich sehe innerlich Bilder aus der Vergangenheit, aus der Zeit, nachdem meine Mutter mit Krebs diagnostiziert wurde. Ich sehe die letzten 1 1/2 Jahre ihres Lebens, als sie nicht mehr fähig war, ihr Leben noch positiv anzupacken, Bilder, als sie endgültig dem Kampf nachgab, sich hilflos fühlte, ich mich hilflos fühlte … Ich fühle mich getrennt, einsam, vom Leben abgeschnitten, verliere selbst die Hoffnung. Ich sehe, wie ich beginne mich in meine Arbeit zu flüchten. Ich werde kalt und funktioniere nur noch … Ich gehe in eine Wartehaltung und warte, bis sich die Umstände draussen ändern, bis ich wieder glücklich bin.

Die Auswirkungen des Gedankens „Menschen sollten Ziele haben“ wurde mir mehr und mehr bewusst. Doch dieser Teil ist nur der eine Teil der Arbeit, die wir mit The Work machen. Denn schliesslich frage ich mich:

Wer wäre ich ohne den Gedanken, dass Menschen Ziele haben sollten?

Nach ein paar Atemzüge, nachdem ich den Gedanken wegfallen liess, wurde mir klar: Ich wäre einfach glücklich. Ich wäre Freude, leicht und unbeschwert. Die Anforderung an meinen Gesprächspartner ist weg. Was bleibt, ist Unabhängigkeit, innere Freiheit, Ausgeglichenheit. Es fühlt sich einfach und klar an.

Nun wollte ich wissen, wie ich den Gedanken umkehren kann.

 Zu mir: „Ich sollte Ziele haben.“ Eine erste Umkehrung, die mir auch wahr scheint. Denn, wenn mir Ziele wichtig sind, muss dies nicht heissen, anderen sollten Ziele ebenso wichtig sein. Und wenn ich in Gesprächen mit ihnen bin, sollte mein Ziel sein, dieses Gespräch zu geniesse, egal, wohin es führt.

Ins Gegenteil: „Menschen sollten keine Ziele haben.“ Als ich diese Umkehrung betrachtete, wurde mir klar, dass viele Menschen, an die ich denke, Ziele haben. Oftmals sind dies Sicherheit, Stabilität, Beständigkeit. Und wenn sie keine Ziele haben, ist dies auch in Ordnung, denn sie geniessen oftmals den Moment (den ich in diesem Moment mit dem Gedanken „Menschen sollten Ziele haben“ nicht geniesse).

Nach der Work an diesem Vormittag habe ich mich in ein Café gesetzt und mir ein kleines Frühstück gegönnt. Spannend, was manchmal aus einer einfachen Befragung resultiert.

 

Silvan Wirz Frühstück Tisch und Bar

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